DEUTSCHER TEXTDICHTER-VERBAND e.V.
GERMAN LYRICISTS ALLIANCE

Wissenswertes

Hans Hee (1924 - 2009)<br>Präsident des DTV 1993 - 2007
Hans Hee (1924 - 2009)
Präsident des DTV 1993 - 2007

"Reim dich oder ich fress dich": Iktus, Akzent, Suffix und Genossen

(aus einer älteren Ausgabe der Verbandsnachrichten – von  Hans Hee)

Jedes Wort, einsilbig oder mehrsilbig, jeder Satz hat seinen eigenen Akzent oder Iktus (Betonung) an einer bestimmten Stelle.  Durch diesen Wechsel von Hebung und Senkung (Arsis und Thesis), Betonung oder Unbetonung, entsteht der Sprachrhythmus. Das gilt für Prosa ebenso wie für die Poesie.

Zweisilbige Worte – Grundformen -  werden in unserer deutschen Sprache im Grundsatz auf der ersten Silbe betont: Sagen, Tage, Liebe, Größe, Hauswand usw,, die Betonung ist immer auf der erste Silbe. Das bedeutet, dass der natürliche Versfuß oder Takt  im Deutschen der so genannte  „Trochäus“ ist.
(Der Trochäus beginnt immer mit einer Hebung, der eine Senkung folgt, im Gegensatz zum Jambus, der mit einer Senkung beginnt, der eine Hebung folgt.)

Das ändert sich auch nicht, wenn Vorsilben dazu kommen, wie z.B. verlieben, entkommen, geschehen und andere mehr.  Bei Zusammensetzungen von Worten wie Eheleben, Wasserwerke, Wunderkerze , behalten beide Worte ihre jeweilige Betonung. Allerdings ändert sich der Iktus, wenn ein einsilbiges Wort sich mit einem anderen Wort verbindet, dann sieht das so aus: Schreibpapier, Hauseingang (aber Hauseingänge)..

Wie sieht es nun aus, wenn Nachsilben (Suffixe) dazu kommen.
Bei einsilbigen Stämmen wechselt der Rhythmus dabei nicht, wie z.B. bei  hilflos, reizbar, Mädchen,
doch das ändert sich sofort, wenn der Stamm mehrsilbig ist wie bei Lustbarkeit, Sonderling, Wissenschaft. Hier sind die Endsilben mitbetont, auch wenn eventuell zwei Suffixe aufeinander folgen wie bei Einigkeit.

All diese Regeln sollte man schon beachten, wenn man Texte schreibt, wobei immer das eigene Sprachgefühl entscheidend sein sollte.

Doch unsere poetische Tätigkeit erschöpft sich ja keinesfalls nur in der feinen Abfolge von schönen Reimen und Gedichten. Textdichterinnen und Textdichter sind im Grunde keine Gedichte-Schreiber; unsere Texte und Reime sollen vor allen Dingen eine Einheit mit der dazugehörenden Musik bilden. Beide Rhythmen, die der Melodie und die des Textes müssen zueinander passen in Iktus und Metrum.

Wer gute Texte für Lieder schreiben will, sollte sich auf jeden Fall auch mit der Betonung des anderen Teiles eines Liedes, mit der Melodie befassen. Wenn die Betonung des Textes an einer ganz anderen Stelle liegt, als die Betonung der Melodie oder gar dem musikalischen Rhythmus entgegenläuft, kann ein Lied nie gut sein. 

Die gängigste Form in der Schlager- wie in der Volksmusik ist die Abfolge von mehreren Versen mit Refrain. Die Versmelodie und die Refrainmelodie bleiben dabei gleich. Der Text in den Versen ändert sich, der Text vom Refrain bleibt normalerweise bei allen Wiederholungen gleich. Da alle Verse die gleiche Melodie haben, sollten auch Iktus und Wortrhythmik mit allen Hebungen und Senkungen ziemlich genau übereinstimmen. Ein Lied gewinnt an Schönheit und bleibt bei den Fans auch erheblich besser haften, wenn diese Regeln eingehalten werden.

Ein Beispiel:

1. Vers:
Wenn der Beduine mit Kamel
durch die Wüste zieht, braucht er kein Öl,
aber ab und zu mal Wasser,
denn er kommt sonst nie zu Nasser...

2. Vers.
Einmal baden jährlich, das muss sein,
früher war’n die Menschen nicht so fein,
denn zur Zeit des alten Fritzen,
da genügte schon das Schwitzen...

 

Beide Versanfänge sind völlig synchron  und haben die gleiche musikalische Betonung. Die Silbenanzahl in den einzelnen Zeilen ist ebenfalls gleich und passend zu den Noten des Liedes

Bei Anfängern ist häufig einer der Hauptfehler dieses Auseinanderlaufen der einzelnen Verse in Akzent und Rhythmus und in der Länge der einzelnen Zeilen bzw. in der Anzahl der Silben. So ist es also nicht nur der falsche, der unreine Reim oder die Kongruenz, die in manchem Lied so unschön auffällt, es ist auch das manchmal nicht so gute Zusammenklingen von Text, Rhythmus, Iktus und Musik,  das dem einen oder anderen die Freude am Zuhören nimmt.

Allerdings, wenn trotz all dieser Unzulänglichkeiten ein Lied zum großen Erfolg wird, dann spielt auch "Reim dich oder ich fress’ dich" keinen Rolle mehr.